Die Nachhaltige Thronrede

Am 4. September 2018 hielt Volkert Engelsman, Geschäftsführer von Eosta mit der Eigenmarke Nature & More, die „Nachhaltige Thronrede“ („Duurzame Troonrede“) vor der Zweiten Kammer im niederländischen Parlament. Dies tat er in seiner Funktion als aktuelle Nummer eins im renommierten Nachhaltigkeitsranking der niederländischen Zeitung Trouw. In Trouw erschien auch eine gekürzte Fassung der Rede unter dem Titel „Wenn sich alles um Gewinn dreht, dann lasst uns bitte auch ehrlich rechnen“. Hier können Sie die vollständige Ansprache nachlesen, in der Engelsman nicht nur über die Notwendigkeit von True Cost Accounting spricht, sondern auch über Karma als Businessmodell, über die Kraft menschlicher Begegnungen, über den Effekt von Bio-Landwirtschaft auf Klima und Wasser – und darüber, wie wichtig es ist, gegen den Strom zu schwimmen.
Nachhaltige Thronrede, 4. September 2018
Wir leben in einer Zeit großer potentiell disruptiver Kräfte. Mit unseren natürlichen Ressourcen Klima, Artenvielfalt, Boden und Wasser stoßen wir an Grenzen, die niemand mehr von der Hand weisen kann. Ebenso wenig wie die sozialen Spannungen und Wanderbewegungen, die daraus resultieren. Das kitzelt überall auf der Welt einen Willen zur Veränderung hervor, der sich nicht aufhalten lässt. Auch nicht durch Trump und andere, Angst-getriebene „Mein Land zuerst“-Mächte. Und immer wieder geht daraus auch wirklich Gutes hervor: So bestätigte der Forscher Johan Rockström vom Stockholm Resilience Center kürzlich in einem im Magazin Nature veröffentlichten Artikel, dass die „Nachhaltigmachung“ in der Landwirtschaft inzwischen einen kritischen Punkt erreicht hat, von dem aus eine Rückkehr zu konventionellen Methoden unmachbar wird. Die Einsicht, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann, ist da. Entsprechende Maßnahmen und Regelungen liegen auf den Schreibtischen unserer Politiker. Ein Hindernis jedoch bleibt: unsere pervertierte Ökonomie, die noch immer den belohnt, der möglichst wenig Verantwortung für unseren Planeten übernimmt und am gedankenlosesten mit unseren Ressourcen umgeht. In der eine Gewinn-Definition hochgehalten wird, die weder gesellschaftliche noch ökologische Kosten berücksichtigt.
Vor nicht allzu langer Zeit war ich in Bhutan unterwegs. Ein kleines, isoliertes Königreich mit einem ganz eigenen Verständnis von Wohlstand, in dessen Mittelpunkt der Begriff Karma steht. Aus der Sicht der Bhutanesen sind Stein, Pflanze, Tier und Mensch eins und untrennbar miteinander verbunden. Alles, was man tut, hat diesem Verständnis nach Folgen für alle anderen. Ein Leben lang baut man Karma auf – es entscheidet darüber, wie dein nächstes Leben aussehen wird. Was du anderen oder dem Planeten antust, fällt früher oder später wieder auf dich zurück. Für die, die jetzt nervös auf ihren Stühlen hin- und her zu rutschen beginnen: das ist lediglich eine Arbeitshypothese. Wenn auch eine Faszinierende! Seien wir ehrlich: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“ (Albert Einstein). Es kann also nicht schaden, etwas abseits der ausgetretenen Wege zu denken. Alles, was du einem anderen antust, tust du dir selbst an. Das ergibt eine komplett neue Perspektive auf unser Wirtschaftssystem: Profit auf Kosten anderer ist dann plötzlich kein lohnenswertes Unterfangen mehr, denn der Schaden kommt von selbst zu dir zurück. Andere übers Ohr zu hauen heißt nichts anderes, als sich selbst übers Ohr zu hauen. Karma als Businessmodell. Ist nur so ´ne Idee.
2012 durfte ich im Auftrag von IFOAM, der internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen, ein Forum auf der Rio+20 Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung leiten. Dort lernte ich den Ministerpräsidenten von Bhutan kennen, Jigme Thinley. Wie Sie sicher wissen, wird in Bhutan der Lebensstandard anhand des Bruttonationalglücks gemessen. Hierzulande könnten wir so etwas den Nachhaltigkeitsindex oder den ganzheitlichen Wohlstands-Index nennen. Neben Geldflüssen würde so auch ökologischer, sozialer und kultureller Reichtum ermittelt und abgebildet werden können.
Bis es soweit ist, tappen wir weiter im Dunkeln durch die in Kate Raworths Buch genannten Grenzen unseres Planeten und die sozialen Defizite. Mit jedem weiteren Schritt untergraben wir unsere Fähigkeit, auch in Zukunft Güter, Waren und Dienstleitungen zu erzeugen. Wir sind süchtig nach kurzfristigen Profiten – wie ein Junkie, der von High zu High lebt und in diesem Zustand immer mehr an Vitalität einbüßt.
Es ist schon seltsam… Niemand wacht doch morgens auf mit der Idee: Heute will ich das Klima verpesten oder asiatische Kinder für einen Hungerlohn zur Arbeit zwingen. Und doch passiert genau das, jeden einzelnen Tag. Das nennt man „Fehler im System“. Scheinbar wird es höchste Zeit, eine Reihe von Werten in unser Marktsystem zu übernehmen, die wir auch als Menschheit dringend brauchen: People? Planet? Ubuntu? Karma?
Verglichen mit dem, wie es noch vor ein paar Jahren war, gibt es schon große Unterschiede. Etwas läuft nun von Grund auf anders. Nämlich, dass die Finanzwelt voll und ganz damit beschäftigt ist – mit Nachhaltigkeit. Mit einer Neudefinition von Gewinn. Mit einer Neubewertung von finanziellen Risikoanalysen. Nehmen Sie zum Beispiel Blackrock, die größte Investmentgesellschaft der Welt. Die nehmen nun soziale und planetare Nachhaltigkeitskriterien mit in ihre Kreditbewertung auf. Leistest du keinen Beitrag zu People und Planet, verlierst du schlussendlich deine Fähigkeit, in Zukunft Profit machen zu können. Die Natural Capital Coalition arbeitet an Modellen für neue Vermögensübersichten sowie Gewinn- und Verlustrechnungen, in denen auch Rechenschaft über den Verbrauch sozialer und natürlicher Ressourcen abgelegt wird. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s, die die Kreditwürdigkeit von großen Multinationals und von Ländern beurteilt, hat vor kurzem Trucost übernommen – eine Firma, die sich auf die Monetarisierung von Kosten für die Gesellschaft spezialisiert hat. Das Financial Stability Board, eine internationale Organisation, die das globale Finanzsystem überwacht, hat eine Taskforce für klimabedingte Finanzinformationen ins Leben gerufen, die Klima-Stresstests durchführt, um klimarelevante Anlagerisiken zu ermitteln. Langsam beginnt Nachhaltigkeit Einzug zu halten in das RaRoC-System (Risk Adjusted Return on Capital), welches in Kreditinstituten zur Anwendung kommt.
Landwirtschaft, Klima und Wasser
Auch noch ein paar Worte zu Landwirtschaft und Ernährung – der Bereich, in dem ich als Unternehmer zu Hause bin. Zunächst ein paar Zahlen: 33% aller Treibhausgase gehen auf Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft zurück. Pro Minute verlieren wir fruchtbare Ackerflächen so groß wie 30 Fußballfelder als Folge einer intensiven Bewirtschaftung. Laut einer Untersuchung der französischen Regierung sind pro Jahr 54 Milliarden Euro nötig, um das mit Pestiziden und Kunstdüngern verschmutzte französischen Grundwasser wieder zu reinigen.
Beobachtungen dieser Art sollten ein lauter Weckruf für unsere politischen Entscheidungsträger sein. Mit einer nachhaltigen Landwirtschaft, die bewiesenermaßen „Wasser-smart“ ist, können wir Milliarden Euro beim Wasserverbrauch und bei der Reinigung von verschmutztem Wasser einsparen!
Weil wir genau das tun wollen – also den Nutzen als auch den Schaden unserer Lebensmittelproduktion zu berechnen – entstand gemeinsam mit unserer Tochterfirma Soil & More Impacts sowie der FAO, EY, der Natural Capital Coalition, IFOAM, TEEB und der Triodos Bank das Pilotprojekt „True Cost Accounting for Farming, Food and Finance" (dt.: Berechnung der tatsächlichen Kosten für Lebensmittel, Landwirtschaft und Finanzen). Anhang ein und derselben Berechnungsmethode, bestehend aus verschiedenen Nachhaltigkeitsindikatoren, wollten wir die tatsächlichen Kosten, die für uns als Gesellschaft entstehen, sichtbar machen. Pro Hektar Anbaufläche für den Bauern, pro Kilo Obst oder Gemüse für den Endverbraucher und in einer Gewinn- und Verlustrechnung für unser Unternehmen sowie für die damit verbundenen Interessengruppen. Damit es primär pragmatisch und einfach skalierbar bleibt, haben wir die 20/80-Regel angewendet: Wir haben 20% aller relevanten Nachhaltigkeitsindikatoren ausgewählt, die 80% der Wirkung ausmachen.
Nicht Bio ist teuer, konventionell ist zu billig
Unter dem Motto „Bio ist nicht teuer, konventionell ist zu billig“ starteten wir eine breit angelegte Kommunikationskampagne, gemeinsam mit unseren Handelspartnern in ganz Europa. Ein überzeugender True-Cost-Accounting-Bericht ist natürlich wichtig für Unternehmer und politische Entscheidungsträger, aber noch besser ist es, wenn man diese Informationen bis in den Laden bringen kann. Denn der Verbraucher, ein schlafender Riese, hat ein Recht auf dieses Wissen – schließlich hat seine Kaufentscheidung in der Masse eine gewichtige Stimme. Wird ihm dieses Wissen vorenthalten und die Möglichkeit einer freien Entscheidung nicht gegeben, ist es klar, dass er im berühmten Wettrennen nach unten auf der Suche nach den kleinsten Preisen mitmacht – auf Kosten von Mensch und Mitwelt.
Mit Dank an die TransitieCoalitie Voedsel, einem Zusammenschluss niederländischer Unternehmen, die sich für eine Ernährungswende einsetzen, möchte ich mit folgendem Wunsch schließen:
Ausgehend von diesen Prinzipien läuten die Niederlande eine Trendwende im internationalen Markt ein. Die Niederlande gelten dann nicht mehr als das Land mit den meisten Nahrungsmittelexporten weltweit, sondern als die führende Nation in Sachen Nachhaltigkeit, Transparenz und Gesundheit.
- der Humusgehalt unserer Böden ist auf einem guten Stand
- unser Grundwasser ist frei von Kunstdüngern, Agrarchemie und Medikamentenrückständen
- die Artenvielfalt ist wiederhergestellt und gilt als der wichtigste Indikator für Resilienz in der Landwirtschaft
- Treibhausgasemissionen, die in Zusammenhang mit Landwirtschaft und Ernährung stehen, sind auf null reduziert worden, unsere Böden fungieren wieder als Kohlenstoffspeicher
- Kosten und Nutzen unserer Lebensmittel und ihrer Produktion für Mensch und Umwelt werden vollständig sichtbar gemacht, monetarisiert und sind im Verkaufspreis enthalten
- nachhaltiges Produzieren und Konsumieren wird durch steuerliche Vorteile und eine entsprechende Gesetzgebung stimuliert, gegenteiliges Verhalten wird bestraft
- Patienten bekommen von ihren Ärzten erst eine ausführliche Ernährungsberatung, bevor sie Medikamente beschrieben bekommen
- gesunde Ernährung und eine gesunde Lebensweise sind Ausbildungsschwerpunkte aller im Gesundheitswesen Tätigen
- Kenntnisse über natürliches, soziales und spirituelles Kapital sind fester Bestandteil eines jeden Wirtschaftsstudiengangs, ebenso wie die dazugehörigen Berechnungsmodelle
- Supermärkte verkaufen keinen Dreck mehr und haben sich zu lokalen Gesundheitszentren entwickelt.
Dream, Dance, Deliver („Träumen, Tanzen, Abliefern“) nennen wir das in unserem Unternehmen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Umweg.