13
März
2020
|
08:26
Europe/Amsterdam

Geld verdienen mit Stickstoff? Aber nur, wenn man auch ehrlich rechnet

„Ehrlich rechnen und zeigen, dass sich nachhaltiges Handeln lohnt“, fordern Jan Willem Erisman und Volkert Engelsman

Auch wenn die Stickstoffberechnungen des RIVM [Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, eine für Öffentliche Gesundheit und Umweltschutz zuständige niederländische Behörde] korrekt sind: es ist zu erwarten, dass der gesellschaftliche Widerstand gegen die Maßnahmen der Regierung zur Stickstoffreduktion weiter anhält. Bürger, Bauern und Bauträger bleiben bei ihrer Verleumdungsstrategie: so schlimm wird der Schaden an der Umwelt schon nicht sein. Außerdem bleibt der Eindruck, dass alles andere, als einfach so weiterzumachen, Unmengen von Geld kosten wird.

Aus Online-Umfragen geht hervor, dass viele Menschen noch immer nicht glauben, dass Stickstoff ein echtes Problem ist. Also fassen wir noch einmal zusammen: Nirgendwo in Europa geht soviel Stickstoff aus der Luft nieder wie in den Niederlanden – trotz aller Bemühungen zur Stickstoffreduktion in den letzten 20 Jahren. Das Problem hat sich über Jahrzehnte im Boden akkumuliert, was zu einer Veränderung der Bodenchemie und zum Verlust der biologischen Vielfalt geführt hat. Das Artensterben beginnt bei Pflanzen und Kleintieren und setzt sich in der Nahrungskette nach oben fort. Die Tier- und Insektenpopulation in der freien Natur und auf landwirtschaftlichen Flächen hat sich laut einem aktuellen Bericht des WWF seit 1990 halbiert.

Die Hälfte landet in der Umwelt
70 Prozent der niederländischen Stickstoffemissionen stammen aus der Landwirtschaft. Importiertes Viehfutter und die Produktion von Kunstdünger erzeugen einen enormen Stickstoffüberschuss. Die Gesamtmenge an Stickstoff, die in die niederländische Landwirtschaft gelangt, ist doppelt so hoch wie die Menge an Stickstoff, die in den erzeugten Produkten zu finden ist. Die andere Hälfte? Landet in der Umwelt.


Ein logischer Schritt wäre, den Einsatz von Düngemitteln zu reduzieren. Im Februar legte die niederländische Regierung einen Vorschlag vor, eine halbe Milliarde Euro ausgeben zu wollen, um Landwirte, die aussteigen wollen, auszubezahlen, sowie Investitionen in nachhaltige Anbaumethoden zu fördern. Die Reaktionen sind denkbar: Landwirte lehnen den Plan rigoros ab, Umweltorganisationen sind der Meinung, dass keine wirklichen Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft unternommen werden. Es fehlt die langfristige Perspektive und die Abstimmung mit anderen Zielen wie Klima und Biodiversität.

Wie kommen wir also aus dieser Sackgasse? Und wie kann sichergestellt werden, dass nicht nur die Landwirte, sondern auch alle anderen Sektoren ihr Stickstoffproblem in Angriff nehmen? Mit Ad-hoc-Maßnahmen ist das nicht möglich. Die Wurzeln des Problems sind finanzieller Art. Sie müssen gezogen werden.

Versteckte Kosten mitrechnen
Die niederländische Behörde für Umweltbewertung schätzt die Umweltkosten des Stickstoffeintrags in den Niederlanden auf 1 bis 5 Milliarden Euro pro Jahr. Sie werden nicht mitgerechnet. Wenn Sie Teil der Preisgestaltung wären, dann würde ein Liter Milch im Supermarkt 1,40 Euro statt 1 Euro kosten.


Mit True Cost Accounting werden solche versteckten Kosten Teil der Wirtschaft, indem sie auf die Produkte umgelegt werden und in die Wertschöpfung mit einfließen. Werden sie weiterhin außen vor gelassen, machen Unternehmen auch in Zukunft ihre Gewinne auf unsere Kosten, denn wir Steuerzahler kommen für die Umweltschäden auf. Wir müssen endlich anfangen, fair zu kalkulieren – sonst verkalkulieren wir uns. Nur so können wir eine neue Verteilung von Kosten und Nutzen erreichen und eine weitere Verlagerung auf Umwelt und Natur verhindern. Wer fair kalkuliert, wird schnell feststellen, dass sich nachhaltiges Handeln für die Gesellschaft lohnt – auch und gerade finanziell. So hat das Forschungsbüro Ecorys kürzlich die Auswirkungen einer Reduzierung des Viehbestandes um 45% berechnet, mit voller Entschädigung für die Bauern, verbunden mit einer 25%igen Umstellung auf ökologische Landwirtschaft über einen Zeitraum von 20 Jahren. Ergebnis: Damit wäre das Stickstoffproblem mit einem Plus von 660 Millionen Euro pro Jahr gelöst!


Die Stickstoffkrise ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, unsere veraltete Gewinndefinition in den Ruhestand zu schicken. Mit unserem unübertroffenen landwirtschaftlichen Fachwissen sind wir, die Niederlande, besser als jedes andere Land in der Lage, in Europa die Führung in einer multifunktionalen und zukunftsfähigen Agrar- und Lebensmittelpolitik zu übernehmen.


Endlich ehrlich rechnen ist da nur der erste Schritt.