25
März
2021
|
15:21
Europe/Amsterdam

Warum sich ’Bio’ in den Niederlanden so langsam durchsetzt

Am Montag, den 1. März, gab es in der niederländischen Tageszeitung “Trouw” ein ausführliches Interview mit Eosta CEO Volkert Engelsman. Das Interview behandelt die Frage, warum der Bio- Marktanteil in den Niederlanden so viel niedriger ist (nur 3.3%) als in den anderen europäischen Ländern. Mit 30 Jahren Erfahrung äußert sich Volkert Engelsman zu diesem Thema. Wir haben eine deutsche Übersetzung gemacht, um Ihnen die Mühe zu ersparen, Niederländisch zu lernen:

Es läuft schon seit Jahren nicht gut mit dem Verkauf biologischer Nahrungsmittel in den Niederlanden. Andere Länder können eindrucksvolle Wachstumsraten präsentieren. Was läuft da falsch in Holland? Und wie könnte man das verbessern?

Auf dem modernen Betriebsgelände in Waddinxveen ist Volkert Engelsman zufrieden wie ein König. Er ist der Chef von Eosta, Marktführer im internationalen Handel von biologischen Agrarprodukten, vor allem von exotischen Früchten. In den letzten dreißig Jahren war er Zeuge von diversen Durchbrüchen im biologischen Obstanbau, in verschiedenen Regionen der Welt. Aber in Eostas Heimat, den Niederlanden, hat so ein Durchbruch nicht stattgefunden.

Engelsman, der im Jahr 2017 den 1. Platz der ‘Top-100 nachhaltigste Unternehmen’ belegte (präsentiert von der Zeitung ‘Trouw’), gründete Eosta mit einem Studienfreund im Jahr 1990. Der Name Eosta verweist nach Eos, der griechischen Göttin der Morgenröte. Denn damals schimmerte ‘Bio’ als das ‘neue Gangbare’ wie Morgenlicht am Horizont.

An verschiedenen Orten der Welt strahlt diese Sonne mittlerweile hell am Himmel. Deutsche Supermärkte bieten zum Beispiel eine breite Palette an biologischen Nahrungsmitteln an. Der Vorsprung gegenüber den Niederlanden ist groß und das bereits seit vielen Jahren.

‘In den Niederlanden gilt nur ein Prinzip: Maximaler Ertrag pro Hektar’

Die im Jahr 2011 eingestellte ‘Taskforce Biologisch’ wollte im Jahr 2007 einen Marktanteil von 5 Prozent an biologischen Produkten bei den großen, niederländischen Supermarktketten erreichen. Das schafften sie nicht. Und selbst dreizehn Jahre später sind diese 5% noch immer nicht erreicht. Im letzten Sommer betrug der Marktanteil von Bioprodukten in den Regalen der großen Supermarktketten, wie Jumbo und Albert Heijn, nur 3,21%. Die Niederlande liegen meilenweit zurück gegenüber Spitzenreiter Dänemark (11,5 Prozent). Die Sonne scheint hier für den Bio-Sektor einfach nicht aufgehen zu wollen.

“Eine mögliche Ursache für diesen Rückstand liegt in der Geschichte der niederländischen Landwirtschaft”, erklärt Engelsman. “Nach dem Zweiten Weltkrieg war Nahrungsmittelknappheit ein Problem, woraufhin man hier den intensiven Landbau als Lösung wählte: so effizient wie möglich große Mengen an Nahrung produzieren”. Das war für die Niederlande sehr gewinnbringend, sagt Engelsman. “Die Niederlande gehören zu den größten Agrarexporteuren der Welt”.

Ein knappes Jahrhundert später veränderte sich die Nachfrage; der Konsument wollte vielseitige, gesunde und nachhaltig produzierte Nahrungsmittel und die internationale Nachfrage nach biologischer Nahrung explodierte. “Dafür ist das niederländische System nicht geeignet’, so Engelsman. “Unsere technokratische Einstellung beruht bereits seit vielen Jahren auf nur einem Prinzip: maximaler Ertrag pro Hektar”.

Als Beispiel nennt er den Anbau im Gewächshaus. “Wir haben das Sonnenlicht da teilweise durch LED-Lampen ersetzt, weil angeblich nur ein geringer Teil des Sonnenlichts wirklich wichtig ist, um eine Pflanze wachsen zu lassen. Statt auf gesunder Erde wachsen die Pflanzen auf einem Substrat, dass nur die absolut notwendigen Nährstoffe enthält. Es herrscht der Gedanke, dass bei Pflanzen nur 4% ihrer DNA wirklich notwendig ist und der Rest eigentlich aus unnötigem Zeug besteht”.

Kernbegriffe: Gesundheit und Vitalität

Es ist laut Engelsman exemplarisch für einen eingeschränkten Blickwinkel auf Landwirtschaft und Ernährung. Gegenüber dem niederländischen Ansatz steht, laut Engelsman, der mehr auf Mensch und Natur gerichtete Blick, den die internationalen Märkte auf Nahrungsmittel haben. “Jeder weiß, dass man mit sehr geringen Mitteln ein Stück Obst oder Gemüse anbauen kann, aber im Ausland will man mehr als das”.

Seiner Ansicht nach gibt es hierbei zwei Kernbegriffe: Gesundheit und Vitalität. “Sie sehen ein komplettes Produkt dort als etwas, das grösser ist als die Summe seiner Teile. Auf dem internationalen Markt will man Produkte, die mit mehr als den strikt notwendigen Nährstoffen angebaut werden. Gesunde und vitale Gewächse, die aus der echten fruchtbaren Erde kommen und in echtem Sonnenlicht gewachsen sind”.

Engelsman spricht von dem ‘neuen Gangbaren’. “Die alte Normalität von intensivem Landbau und Monokultur passt nicht mehr zu der Welt, in der wir nun leben. Von der niederländischen Landwirtschaft wird daher eine viel größere Veränderung in Bezug auf ihre bisherige Mentalität gefragt, als das in vielen anderen Ländern der Fall ist. Es erfordert eine ziemliche Umgewöhnung, besonders, wenn man im alten System Weltmeister war”. Er beschreibt die Angst vor Veränderung als eine Art ‘Phobie vor biologischer Landwirtschaft’. “Durch diese Angst sind andere Länder auf diesem Gebiet Vorreiter und wir die Nachfolger geworden”.

Wohlstandsunterschiede

Niederländische Landwirte und Exporteure müssen also die Segel neu ausrichten, wenn sie ihre internationale Rolle beibehalten wollen, gibt Engelsman zu bedenken. “Die Anhänger des alten Systems behaupten weiterhin, dass die intensive Landwirtschaft der einzige Weg ist, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Dieser Argumentation folgen immer weniger Menschen”. Er erklärt weiter: “es gibt wirklich genügend Nahrungsmittel für alle auf unserem Planeten. Und sowieso, wenn wir weniger Fleisch essen würden, weil dann weniger landwirtschaftliche Produkte als Tierfutter verbraucht werden müssen. Hunger entsteht vor allem durch Wohlstandsunterschiede. Die werden nicht kleiner, wenn die Entwicklungsländer noch abhängiger werden von westlichen Lieferanten von Kunstdünger und Pestiziden. Die Frage ist deshalb vor allem: wie können wir unsere natürlichen Ressourcen und Hilfsquellen so instand halten, dass alle am weltweiten Nahrungsmittelangebot teilhaben können”.

Groente en fruit bij supermarktketen Dirk van den Broek. Het marktaandeel van biologisch in de schappen van de grote supermarktketens was vorig jaar zomer nog slechts 3,21 procent. Beeld ANP

Obst und Gemüse bei der niederländischen Supermarktkette Dirk van den Broek. Der Marktanteil an Bio-Produkten in den Regalen der großen niederländischen Supermarktketten betrug letzten Sommer nur 3,21 Prozent. Bild ANP

Die große Rolle, die die intensive Landwirtschaft in den Niederlanden spielt, hat auch auf die Konsumenten Einfluss gehabt, meint Michael Wilde, Direktor der Gesellschaft für den biologischen Sektor ‘Bionext’.“Die Niederländer wachsen mit den großen Landwirtschaftsbetrieben auf. Mit natürlicheren Formen der Nahrungsmittelproduktion, wie Gemüsegärten, sind wir weniger vertraut. Darum stellen wir niedrigere Anforderungen an dasjenige, was wir essen”. Das bestimmt auch mit, wofür wir im Supermarkt Geld ausgeben, meint er: “Biologische Produkte sind beinahe immer teurer, aber wir entscheiden uns im Verhältnis deutlich öfter für unser Portemonnaie”. Sparsam sein passt sowieso zur Mentalität der Niederländer, sagt er. “Da sind wir in Europa für bekannt”. Auf diese Sparsamkeit könnte die Regierung gut einspielen. Engelsman und Wilde wollen darum beide, dass die Regierung in ihrem Haushaltsplan mehr auf Nachhaltigkeit setzt. “Die Gesellschaft hat damit zu kämpfen, dass die großen Verursacher immer mit Steuer- und Konkurrenzvorteilen wegkommen und der normale Bürger dann für die Wiederherstellung der von ihnen verursachten Schäden die Rechnung bezahlen muss”.

O Prozent Mehrwertsteuer

“Packen wir doch endlich die Verantwortlichen steuerlich härter an’, sagt Engelsman. Steuervorteile für nachhaltig verantwortungsvoll arbeitende Unternehmen können einen Lösungsansatz bieten, erklärt Wilde: ”Wenn wir zum Beispiel 0 Prozent Mehrwertsteuer auf biologische Produkte erheben, dann bedeutet das einen enormen Auftrieb für den Sektor”.

Und, meint Engelsman, die Regierung muss vor allem kein offenes Ohr mehr für die Befürworter des ‘alten Systems’ haben. Aalt Dijkhuizen zum Beispiel, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Universität Wageningen, mittlerweile im Agrargeschäft tätig und Kampfgenosse der wütenden Bauern bei deren Stickstoffprotesten. Aber auch Dijkhuizens Nachfolger in Wageningen, Louise Fresco. Sie war Mitglied des Aufsichtsrats der Rabobank und ist gegenwärtig Aufsichtsratsmitglied bei Syngenta, einem internationalen Unternehmen, das unter anderem mit genetisch manipulierten Gewächsen Handel treibt. “Diese Menschen müssen echt in Rente gehen, ihr Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen”, sagt Engelsman bestimmt. “Es ist wirklich an der Zeit, das ‘neue Gangbare’ kompromisslos anzunehmen”.

Ungeachtet des Ausbleibens eines echten Durchbruchs, sind Engelsman und Wilde optimistisch was die Zukunft betrifft. Zum Beispiel über den europäischen ‘Green Deal’ von EU-Kommissionsmitglied Frans Timmermans. Die darin enthaltene Zielsetzung beinhaltet, dass im Jahr 2030 ein Viertel der europäischen Landwirtschaft biologisch sein muss, so Engelsman. “Wir bemerken bei allen Beteiligten, von Ministern bis Bauern, von Supermärkten bis Lieferanten, dass die Offenheit gegenüber ’biologisch’ viel grösser geworden ist”, beschreibt Wilde.

Engelsman: “Wir haben in Europa jahrelang herumdiskutiert, es ist ausgezeichnet, dass die Europäische Union nun eine einheitliche Vorgabe macht und einen deutlichen Plan vorlegt”. Sowas gelingt nicht über Nacht: Europa wird auch in den kommenden sieben Jahren die konventionelle Landwirtschaft mit Milliardenbeträgen subventionieren. “Aber jahrelang war ‘biologisch’ ein abschreckendes Wort, diese Zeiten sind nun echt vorbei”, meint Wilde. Auch in den Niederlanden wird diese ‘Phobie’ verschwinden.

(Den niederländischen Originalartikel finden Sie hier).

Het is tijd om het nieuwe normaal volledig te omarmen
Volkert Engelsman